DER WELTENWANDERER

‚Sei die Veränderung, die Du in der Welt sehen willst‘ – getreu dem Motto seines großen Vorbildes Mahatma Gandhi hat der heute 33-jährige Bad Ischler Gregor Sieböck vor 6 Jahren einen Job bei der Weltbank abgelehnt, um zu Fuß um die Welt zu gehen. Über 15.000 Kilometer hat er seither zurückgelegt: auf dem Jakobsweg, quer durch Patagonien, auf der alten Inkastrasse durch Südamerika, durch die USA, Japan und Neuseeland. In den drei Jahren seiner Wanderung ist er dabei weiter gegangen, als viele von uns in ihrem ganzen Leben – und das im doppelten Sinn, denn: ‚man muss loslassen, um weiterzukommen‘. Ein Portrait des Weltenwanderers Gregor Sieböck.

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CREDITS:

Buch, Regie, Kamera, Schnitt: Martin Hasenöhrl
Ton: Heinrich Hasenöhrl
Eine Produktion von schaller08
Ö 2010, 61 min, HDV

FESTIVALS:

Crossing Europe
Bergfilmfestival Salzburg
Filmfestival Radstadt

 

REGIEKOMMENTAR:

Wie würdest Du Dich selbst beschreiben, frage ich mein Gegenüber während eines Interviews im Zug von Salzburg nach Wien. ‚Verwegen, dynamisch, erfolglos‘, meint der heute 31jährige Bad Ischler Gregor Sieböck, ‚also ein bisschen verwegen mit meinen Gedanken, meinen Ideen, den Handlungen die ich umsetze; doch immer dynamisch, anpassungsfähig an das Neue und bereit, etwas Anderes auszuprobieren; und erfolglos – im Sinne des neoliberalen Wirtschaftssystems bin ich der volle Loser, weil ich Wirtschaft studiert habe in Wien, Umweltwissenschaft in den USA, einen Job bei der Weltbank gekriegt hätte, aber dann gesagt habe, nein, ich gehe zu Fuß um die Welt.‘

Über 15.000 Kilometer hat der Weltenwanderer seither zurückgelegt: auf dem Jakobsweg, quer durch Patagonien, auf einer alten Inkastrasse durch Südamerika, durch die USA, Japan und Neuseeland. Momentan ist er zur Winterpause wieder in Österreich, hält Vorträge, gibt Interviews, schreibt an einem Buch über die Wanderung. Sieböck ist ein moderner Pilger, ein Prediger, ein Vagabund – und gleichzeitig Manager seiner eigenen globalen Umweltkampagne: ursprüngliches Ziel der Wanderung war die Verbreitung der Idee des ökologischen Fussabdrucks, einer Masszahl, die es erlaubt zu berechnen, wieviele Planeten wir theoretisch benötigen würden, um unseren Rohstoffverbrauch auch in Zukunft decken zu können: der durchschnittliche Europäer braucht 2,9 Planeten, der typische US-Amerikaner über fünf. Seinen eigenen Fußabdruck konnte Sieböck während der Wanderung schon um mehr als einen Planeten senken. Er besitzt keinen Führerschein, kein Handy, hat keinen festen Wohnsitz und die Strecken zwischen den Kontinenten legt er immer auf Fracht- oder Segelschiffen zurück. Seit Jahren ist er nicht mehr geflogen. Ein einfaches Leben führen, reduzieren, sich Zeit nehmen, das sind Sieböcks Themen. Auch in seinen Vorträgen: ‚Wir sind nur Gast auf dieser Erde. Wir können von da eh nichts mitnehmen. Wir werden mit leeren Händen geboren und sterben mit leeren Händen. Also bringt das ganze Anhäufen gar nichts. Und das Spannende an einem Pilger ist, er hat einen Wanderstock, einen kleinen Rucksack idealerweise, denn je größer der ist, desto schwerer hat er zu tragen, und er zieht durch die Welt und ist offen für Neues.‘

Mittlerweile sind wir in Linz angekommen. Wir steigen aus und treffen Gregors Vater am Bahnhofsvorplatz, um einen riesigen Stapel Plakate für den nächsten Vortrag in Wien an uns zu nehmen. Gregor bedankt sich für die Hilfe seines Vaters und wir machen uns gleich wieder auf den Weg zum Bahnsteig um den nächsten Zug zu erwischen. Im Weggehen ruft uns der Vater noch lachend nach: ‚Gell, Gregor, die Blöden leben von der Arbeit und die Gscheiten leben von den Blöden.‘ Gregor schmunzelt. Wieder im Zug frage ich ihn, wie er das sieht. ‚Das würde ich so nicht sagen‘, meint er, ‚aber mir gefällt ein anderes Zitat viel besser: ein Meister in der Kunst des Lebens unterscheidet nicht zwischen der Arbeit und dem Spiel, Arbeit und Freizeit, er weiß nicht einmal, was diese unterscheidet und er überlässt es anderen, zu beurteilen, ob er nun gerade arbeitet oder spielt. Nun würde ich mich nicht als Meister in der Kunst des Lebens bezeichnen, aber dieser Satz hat mich doch fasziniert und ich habe mir gedacht, vielleicht gelingt mir in meinem Leben eine Annäherung daran. Nicht immer zu sagen, okay, jetzt gehe ich in die Arbeit, weil meistens ist das damit verbunden, 8 oder 10 Stunden im Büro zu sitzen, das ist nicht lustig, dann komme ich am Abend heim und setze mich im schlimmsten Fall vor den Fernseher und am Wochenende halligalli und am Montag wieder in die Arbeit. Und so vergehen 30, 40, 50 Jahre. Und ich habe mir gedacht, das Leben soll jetzt beginnen, ich warte nicht auf die Zukunft. Ich versuche, das so gut wie möglich jetzt umzusetzen und meine Träume zu realisieren.‘

Einer dieser Träume ist die neue Kampagne mit dem Titel Wegkreuzugen. Gregor will wieder wandern, diesmal mit unbestimmtem Ziel, um die Welt, die Menschen und sich selbst kennenzulernen. In der Karwoche geht es los. Von seinem Elternhaus in Bad Ischl geht es in Richtung Süden. Nach Italien. Weiter hat Sieböck noch nicht geplant, er will das Ziel erreichen, ohne an das Ziel zu denken, denn ‚jedes Wollen bindet den Geist‘. Auf jeden Fall soll die Wanderung wieder mehrere Jahre dauern und ihn irgendwann wieder über Patagonien nach Ecuador führen, wo er als 19-jähriger Zivildiener ein Jahr lang mit Strassenkindern in Quito gearbeitet hat. ‚Ich werde zuhören: Den Stimmen der Erde und den Menschen unterwegs, die Weisen unserer Zeit aufsuchen und in Gesprächen befragen, wie ein nachhaltiger und verantwortungsvoller Lebensstil auf der Welt ausschauen kann. Ich werde lernen, sowohl von altem als auch von neuem Wissen. Die Erkenntnisse aus diesen Begegnungen möchte ich teilen. Ich werde mit Printmedien, Radio und Fernsehen auf der ganzen Welt zusammenarbeiten, um sie mit meinen Fragen anzuregen, damit die Antworten bei jeder/m einzelnen in Herz und Kopf reifen.‘

Als wir nach einem fast zweistündigen Gespräch in Wien einfahren und ich noch einige Fotos mache, beginnen Gregors Gedanken schon in meinem Kopf zu wirken und noch während er die Ausrüstung für seinen Diavortrag auf den Bahnsteig schleppt, wird mir klar, was das Besondere an Sieböck ist: er strahlt die Überzeugung aus, dass eine andere Welt möglich ist. Es liegt in unseren Händen. Wir können etwas tun. Ein gutes Gefühl in einer Zeit, in der wir unser Leben zunehmend als fremdbestimmt und schicksalhaft wahrnehmen. ‚Lebe ich, oder werde ich gelebt?‘ Diese Frage soll ich mir jeden Tag stellen, meint Sieböck noch, bevor er mit Sack und Pack verschwindet und ich am Bahnsteig zurückbleibe.